SPIEGEL ONLINE: Herr Lukjanow, die ersten Verhandlungen zwischen dem ukrainischen und dem russischen Außenminister in Berlin endeten ohne einen Durchbruch. Sehen Sie noch Chancen für eine Einigung?
Lukjanow: Dass nach der ersten Runde keine Ergebnisse bekannt gegeben wurden, stimmt mich eher optimistisch. Wir befinden uns in einer katastrophalen politischen Situation, aus der es nur wenige Auswege gibt. Jede unvorsichtige Äußerung kann da den Verhandlungsprozess gefährden. Wir erfahren entweder Genaueres über die Gespräche, wenn sie scheitern, oder wenn es eine fertige Paketlösung gibt. SPIEGEL ONLINE: Woraus könnte diese bestehen?
Lukjanow: Alle müssen Zugeständnisse machen. Die Ostukraine muss einen Autonomie-Status erhalten. Moskau hätte gerne, dass die Führer der prorussischen Kräfte als Verhandlungspartner anerkannt werden, dazu ist Kiew nicht bereit. Es wäre sinnvoll, einen politischen Arm der Rebellen zu schaffen, in der Art von Sinn Fein in Irland, der Raum für politische Flexibilität geben würde. Die Gasfrage muss in ihrer ganzen Breite geklärt werden: die Schulden der Ukraine, der Gaspreis, die Frage des Transits. Eine weitere wichtige Frage: Wer wird für den Wiederaufbau der Ukraine zahlen? Ich denke, dass der Westen versteht: Wenn Russland das Land wirtschaftlich boykottiert, hat die Ukraine keine Chance. Russland muss zumindest den Status quo der wirtschaftlichen Beziehungen wahren. Der vierte Bereich der Verhandlungen ist die militärische Blockfreiheit der Ukraine.
SPIEGEL ONLINE: Was will Russland hier erreichen?
Lukjanow: In Russland glaubt man mündlichen Zusicherungen spätestens seit der Ausdehnung der Nato nach Osteuropa nicht mehr. Dass die Ukraine nicht Mitglied der Nato wird, muss festgeschrieben werden.
SPIEGEL ONLINE: Ist auch die Krim Teil der Verhandlungsmasse?
Lukjanow: Für Russland nicht. Aber Präsident Putin hat mit seiner jüngsten Rede auf der Krim auch eine Linie gezogen: Russlands Expansionsstreben ist begrenzt. Nach dem Anschluss der Krim hat es keine Absichten, sich weiter auszudehnen. Das war ein Signal an all jene, die an einen russischen Einmarsch in der Ukraine glauben. Einen russischen Einmarsch wird es nicht geben.
SPIEGEL ONLINE: Was passiert, wenn die Verhandlungen scheitern?
Lukjanow: Dann erwartet uns ein Krieg bis zur völligen Zerstörung des Landes.
SPIEGEL ONLINE: Aber die ukrainische Armee hat in jüngster Zeit militärische Fortschritte erzielt.
Lukjanow: Das Land steckt in einer Zwickmühle: Es ist ökonomisch und politisch am Limit, deshalb drängt Kiew auf eine schnelle militärische Lösung. Macht die Armee auf halbem Wege halt, werden die Bürger fragen: Wozu haben wir so viel geopfert? Aber selbst wenn das Militär sich im Osten durchsetzt, ist ein Partisanenkrieg zu erwarten.
SPIEGEL ONLINE: Mehrere Separatistenführer mit russischer Staatsangehörigkeit haben inzwischen ihre Posten an Ukrainer abgegeben. Was hat das zu bedeuten?
Lukjanow: Dass die Führung der Regionen in den Händen von russischen Staatsbürgern lag, war für Russland eine sehr ungünstige Konstellation. In der Darstellung Moskaus sind die Ereignisse im Osten der Ukraine ja ein innerer Konflikt.
SPIEGEL ONLINE: Wie groß ist Moskaus Einfluss auf die prorussischen Kräfte?
Lukjanow: Sicherlich hat Moskau politischen Einfluss, aber keinen absoluten. Aber der Krieg hat auch eine eigene Logik, die Moskau nicht ändern kann.
SPIEGEL ONLINE: Warum unterstützt Russland weiterhin die Separatisten in der Ostukraine?
Lukjanow: Weil man sich für die Verhandlungen eine gute Ausgangsposition schaffen will.
SPIEGEL ONLINE: Im Westen wurde zuletzt über eine Spaltung der russischen Elite angesichts der antiwestlichen Politik Putins spekuliert. Halten Sie das für möglich?
Lukjanow: Nein. Selbst wenn es in der Elite Leute gibt, die unzufrieden sind: Was sollen sie machen angesichts von Putins weiter wachsender Popularität im Volk?
SPIEGEL ONLINE: Wie agiert Putin in den letzten Monaten? Hat er einen Masterplan?
Lukjanow: Nein. Putin reagiert auf Impulse von außen. Doch auch wenn er das recht erfolgreich tut: Bei vielen Menschen wächst die Verunsicherung. Sie verstehen nicht, welches Ziel er hat.
SPIEGEL ONLINE: Dennoch nähern sich Putins Zustimmungswerte der 90-Prozent-Marke...
Lukjanow: Je mehr Druck des Westens es gibt, desto mehr denkt der normale Russe: Ihr könnt uns mal. Wir sind doch nicht Nordkorea, um so mit uns umzuspringen! In den Augen vieler ist Russland schließlich noch immer eine Großmacht, und die gesamten letzten 25 Jahre haben wir immer nur nachgegeben. SPIEGEL ONLINE: Putin vermittelt seinen Bürgern das Bild von Russland als einer "belagerten Festung". Teilen Sie dieses Bild?
Lukjanow: Die westliche Politik gegenüber Russland ist völlig gescheitert. Ich bin mit Henry Kissinger einverstanden, der gesagt hat: "Die Dämonisierung von Wladimir Putin ist keine Politik. Sie ist ein Alibi für die Abwesenheit von Politik." In den ersten Jahren war Putin noch offen für eine Integration mit dem Westen. Aber nach dem Vertrauen gegenüber den USA ist in den letzten Jahren auch sein Vertrauen gegenüber Europa geschwunden. Die Interventionen des Westens, von Afghanistan über den Irak bis Libyen sind in seinen Augen zynisch oder verrückt. Die Ukraine war für ihn offenbar die letzte Bestätigung.
Lukjanow: Dass nach der ersten Runde keine Ergebnisse bekannt gegeben wurden, stimmt mich eher optimistisch. Wir befinden uns in einer katastrophalen politischen Situation, aus der es nur wenige Auswege gibt. Jede unvorsichtige Äußerung kann da den Verhandlungsprozess gefährden. Wir erfahren entweder Genaueres über die Gespräche, wenn sie scheitern, oder wenn es eine fertige Paketlösung gibt. SPIEGEL ONLINE: Woraus könnte diese bestehen?
Lukjanow: Alle müssen Zugeständnisse machen. Die Ostukraine muss einen Autonomie-Status erhalten. Moskau hätte gerne, dass die Führer der prorussischen Kräfte als Verhandlungspartner anerkannt werden, dazu ist Kiew nicht bereit. Es wäre sinnvoll, einen politischen Arm der Rebellen zu schaffen, in der Art von Sinn Fein in Irland, der Raum für politische Flexibilität geben würde. Die Gasfrage muss in ihrer ganzen Breite geklärt werden: die Schulden der Ukraine, der Gaspreis, die Frage des Transits. Eine weitere wichtige Frage: Wer wird für den Wiederaufbau der Ukraine zahlen? Ich denke, dass der Westen versteht: Wenn Russland das Land wirtschaftlich boykottiert, hat die Ukraine keine Chance. Russland muss zumindest den Status quo der wirtschaftlichen Beziehungen wahren. Der vierte Bereich der Verhandlungen ist die militärische Blockfreiheit der Ukraine.
SPIEGEL ONLINE: Was will Russland hier erreichen?
Lukjanow: In Russland glaubt man mündlichen Zusicherungen spätestens seit der Ausdehnung der Nato nach Osteuropa nicht mehr. Dass die Ukraine nicht Mitglied der Nato wird, muss festgeschrieben werden.
SPIEGEL ONLINE: Ist auch die Krim Teil der Verhandlungsmasse?
Lukjanow: Für Russland nicht. Aber Präsident Putin hat mit seiner jüngsten Rede auf der Krim auch eine Linie gezogen: Russlands Expansionsstreben ist begrenzt. Nach dem Anschluss der Krim hat es keine Absichten, sich weiter auszudehnen. Das war ein Signal an all jene, die an einen russischen Einmarsch in der Ukraine glauben. Einen russischen Einmarsch wird es nicht geben.
SPIEGEL ONLINE: Was passiert, wenn die Verhandlungen scheitern?
Lukjanow: Dann erwartet uns ein Krieg bis zur völligen Zerstörung des Landes.
SPIEGEL ONLINE: Aber die ukrainische Armee hat in jüngster Zeit militärische Fortschritte erzielt.
Lukjanow: Das Land steckt in einer Zwickmühle: Es ist ökonomisch und politisch am Limit, deshalb drängt Kiew auf eine schnelle militärische Lösung. Macht die Armee auf halbem Wege halt, werden die Bürger fragen: Wozu haben wir so viel geopfert? Aber selbst wenn das Militär sich im Osten durchsetzt, ist ein Partisanenkrieg zu erwarten.
SPIEGEL ONLINE: Mehrere Separatistenführer mit russischer Staatsangehörigkeit haben inzwischen ihre Posten an Ukrainer abgegeben. Was hat das zu bedeuten?
Lukjanow: Dass die Führung der Regionen in den Händen von russischen Staatsbürgern lag, war für Russland eine sehr ungünstige Konstellation. In der Darstellung Moskaus sind die Ereignisse im Osten der Ukraine ja ein innerer Konflikt.
SPIEGEL ONLINE: Wie groß ist Moskaus Einfluss auf die prorussischen Kräfte?
Lukjanow: Sicherlich hat Moskau politischen Einfluss, aber keinen absoluten. Aber der Krieg hat auch eine eigene Logik, die Moskau nicht ändern kann.
SPIEGEL ONLINE: Warum unterstützt Russland weiterhin die Separatisten in der Ostukraine?
Lukjanow: Weil man sich für die Verhandlungen eine gute Ausgangsposition schaffen will.
SPIEGEL ONLINE: Im Westen wurde zuletzt über eine Spaltung der russischen Elite angesichts der antiwestlichen Politik Putins spekuliert. Halten Sie das für möglich?
Lukjanow: Nein. Selbst wenn es in der Elite Leute gibt, die unzufrieden sind: Was sollen sie machen angesichts von Putins weiter wachsender Popularität im Volk?
SPIEGEL ONLINE: Wie agiert Putin in den letzten Monaten? Hat er einen Masterplan?
Lukjanow: Nein. Putin reagiert auf Impulse von außen. Doch auch wenn er das recht erfolgreich tut: Bei vielen Menschen wächst die Verunsicherung. Sie verstehen nicht, welches Ziel er hat.
SPIEGEL ONLINE: Dennoch nähern sich Putins Zustimmungswerte der 90-Prozent-Marke...
Lukjanow: Je mehr Druck des Westens es gibt, desto mehr denkt der normale Russe: Ihr könnt uns mal. Wir sind doch nicht Nordkorea, um so mit uns umzuspringen! In den Augen vieler ist Russland schließlich noch immer eine Großmacht, und die gesamten letzten 25 Jahre haben wir immer nur nachgegeben. SPIEGEL ONLINE: Putin vermittelt seinen Bürgern das Bild von Russland als einer "belagerten Festung". Teilen Sie dieses Bild?
Lukjanow: Die westliche Politik gegenüber Russland ist völlig gescheitert. Ich bin mit Henry Kissinger einverstanden, der gesagt hat: "Die Dämonisierung von Wladimir Putin ist keine Politik. Sie ist ein Alibi für die Abwesenheit von Politik." In den ersten Jahren war Putin noch offen für eine Integration mit dem Westen. Aber nach dem Vertrauen gegenüber den USA ist in den letzten Jahren auch sein Vertrauen gegenüber Europa geschwunden. Die Interventionen des Westens, von Afghanistan über den Irak bis Libyen sind in seinen Augen zynisch oder verrückt. Die Ukraine war für ihn offenbar die letzte Bestätigung.
Diejenigen, die entscheiden, sind nicht gewählt, und diejenigen, die gewählt werden, haben nichts zu entscheiden - Horst Seehofer, CSU.

